HeidlebergCement: EBR Vorsitzender verhindert Werksschließung

Im Frühjahr 2005 gelang es dem Europäischen Betriebsrat von HeidelbergCement, etwa 200 Arbeitsplätze im niederländischen Maastricht zu retten. Die bemerkenswerte und mit grossem persönlichen Einsatz geführte Inititiative widerlegt alle Behauptungen von der angeblichen Ohnmacht Europäischer Betriebsräte.

Ein Bericht von Renate Hebauf (Die Autorin ist freie Journalistin und arbeitet u.a. für die Zeitschrift "Mitbestimmung".)      

Die staubgraue Silhouette des Zementwerks erhebt sich wie ein Kontrapunkt aus der lieblichen Landschaft des Maintales bei Lengfurt. Seit mehr als hundert Jahren wird hier im Steinbruch am Alten Berg im oberen Teil des Werksgeländes Kalkstein für die Zement- und Klinkerproduktion abgebaut. An die vorindustriellen Zeiten erinnern noch die Weinberge auf dem Hang zum Main. Seit 1923 gehören Berg und Werk zur HeidelbergCement AG, einem Unternehmen, das sich im letzten Jahrzehnt zum Global Player auf dem Zementmarkt gemausert hat.

Wilhelm Schwerdhöfer, Betriebsratsvorsitzender im Werk Lengfurt kam schon vor 37 Jahren als Schlosserlehrling hierher und gehört sozusagen zum betrieblichen Urgestein. Bevor er 1984 den Betriebsratsvorsitz übernahm, hatte der gelernte Betriebsschlosser jahrelang unter freiem Himmel im Steinbruch an den riesigen Bau- und Erdbewegungsmaschinen gearbeitet. Sein Büro hat der heute 51jährige in der neuen Schlosserei mitten auf dem Werksgelände. Von hier aus, mit Blick auf die Silos, den Ofen und die Zementabfüllstelle für die Silolaster, steht er nicht nur im ständigen Kontakt mit dem Produktionsprozess und den 160 Mitarbeitern vor Ort.

Seit er 1998 zum Eurobetriebsratsvorsitzenden von HeidelbergCement gewählt wurde, laufen auf seinem Schreibtisch auch die Fäden aus den Standorten in allen Teilen Europas zusammen. Mit der Erweiterung der EU im Mai 2004 ist das in diesem Jahr für vier Jahre neu gewählte Gremium inzwischen auf 28 Mitglieder aus 15 Nationen angewachsen. Geleitet wir es von einem fünfköpfigen Präsidium, dem Vorsitzenden und vier Ausländern. „Der EBR-Vorsitz ist eine Riesenaufgabe, die mir sehr viel Spaß, aber auch sehr viel Arbeit macht“, versichert Wilhelm Schwerdhöfer. Etwa fünfzig Prozent seiner Betriebsratstätigkeit nimmt die EBR-Arbeit inzwischen ein. Abgesehen von der Organisation der Jahrestagung, die von der Hauptverwaltung in Heidelberg übernommen wird und den Übersetzungen, die er nach aussen gibt, muss er die gesamte Organisations- und Schreibarbeit, quasi im Nebengeschäft allein bewältigen. „Manch einer hier erfreut sich meiner selbstständigen Arbeit und bemängelt dennoch meine vielen Überstunden, denn als nur „de fakto“ freigestellter Betriebsrat muss ich mich eigentlich an die Regelarbeitszeiten im Betrieb halten.“

Euro-Betriesbrat als Lernprozess

Das Bewusstsein über den Stellenwert einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit hat sich auch bei den Betriebsräten von HeidelbergCement erst relativ spät entwickelt. Bis 1993, zum Kauf der international ausgerichteten belgischen Unternehmensgruppe CBR, hatte HeidelbergCement wenig ausländische Standorte. So waren es seinerzeit auch die belgischen und niederländischen Kollegen, die auf Gründung eines EBR drängten. „Wir deutschen Betriebsräte mit unseren Mitbestimmungsstrukturen wussten damals gar nichts über die Rechtssysteme in den anderen EU-Ländern und waren uns deshalb über die Wichtigkeit eines solchen Gremiums für ausländische Arbeitnehmervertreter gar nicht im Klaren“, erinnert sich der heutige EBR-Vorsitzende. Ein Konzernbetriebsrat wurde bei HeidelbergCement sogar erst in diesem Jahr eingerichtet. Bei der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums 1994/95 und der EBR-Vereinbarung 1996 gehörte Wilhelm Schwerdhöfer zusammen mit seinen deutschen, den belgischen Kollegen von CBR und den niederländischen Kollegen von ENCI, einer anderen Tochtergesellschaft, zu den „Männern der ersten Stunde“. „Der Führungsrolle der Beneluxländer bei der EBR-Gründung haben wir Deutschen damals entsprochen, indem wir vier der uns zustehenden Sitze nicht belegt haben“, erklärt er das Bemühen, die durch den Unternehmenssitz ohnehin vorhandene deutsche Dominanz im EBR zu verringern. Denn klar war: den Vorsitz sollte ein Deutscher übernehmen, weil der über die Mitbestimmungsgremien Gesamtbetriebsrat und Aufsichtsrat, aber auch über die Muttersprache den direkten Zugang zum Vorstand hatte. Dies galt auch, als nach dem Kauf der schwedischen Gruppe Scancem 1999, deren Eurobetriebsrat mit dem von HeidelbergCement vereinigt wurde.

Seit der EBR-Gründung ist nicht nur am Werk Lengfurt „viel Wasser den Main hinunter geflossen“: Weitere Unternehmensaufkäufe und –verkäufe, Auslagerungen und Restrukturierungen haben stattgefunden und bilden neben dem Arbeitsschutz die ständigen Themen auch im erweiterten Eurobetriebsrat.

Werksschliessung verhindert

Einen wirklichen Erfolg der EBR-Arbeit und die Vorteile der besseren Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten über dieses Gremium konnten am Jahresanfang die Niederländer bei ihrem Kampf um die Erhaltung des Standortes Maastricht erfahren. „Erst durch den EBR konnten wir direkt auf die Unternehmensleitung in Heidelberg zugehen. Dadurch hat unser Streik in den Niederlanden einen sehr guten Verlauf genommen“, hatte Giel Beks am Telefon resumiert. Er ist Betriebsrat bei ENCI in Maastricht und hielt als EBR Mitglied für die Dauer des Konflikts den ‚heissen Draht‘ zu Wilhelm Schwerdhöfer.

Zur Vorgeschichte: Im Oktober 2004 hatte die Unternehmensleitung den EBR über die Details des Reorganisationsplans Cem BeNe informiert, der die Zusammenlegung von belgischen und niederländischen Produktionseinheiten vorsah. Zum Abbau von Überkapazitäten bei der Klinkerherstellung sollten nicht nur in Belgien Arbeitsplätze abgebaut, sondern auch der Ofen Nr. 8 in Maastricht bis Ende 2005 stillgelegt werden. Da der Ofen das Herzstück eines Zementwerkes ist, bedeutete das einen Verlust von 270 Arbeitsplätzen. Die holländischen Vertreter im EBR wurden von dieser kurzfristigen Ankündigung überrumpelt, obwohl man im EBR schon über die längerfristige Stillegung diskutiert hatte. Die Betriebsräte der drei holländischen Werke Maastricht, Rotterdam und Ijmuiden entwickelten daraufhin unter Mitarbeit eines Sachverständigen ein alternatives Reorganisationskonzept für den Weiterbetrieb des Ofens und legten es dem niederländische Management und den drei in den Betrieben vertretenen Gewerkschaften vor.

„Die holländische Unternehmensleitung hat unser Konzept einfach zur Seite gelegt und es abgelehnt mit den Gewerkschaften darüber zu verhandeln“, hatte Giel Beks den Eskalationspunkt beschrieben, und seine Empörung über diese Missachtung der Arbeit der Betriebsräte hatte immer noch durch geklungen. Die Gewerkschaften riefen daraufhin zum Streik auf, und ab dem 14. Februar 2005 standen in allen drei niederländischen Werken die Mühlen und Öfen für eine Woche still. Am 19. Februar signalisierte die Unternehmensleitung schließlich Verhandlungsbereitschaft, und am nächsten Tag wurden die Verhandlungen über das Alternativkonzept wieder aufgenommen . Die parallele Sondersitzung des Unternehmensvorstands in Heidelberg führte dazu, dass noch am selben Tag ein Kompromiss erzielt wurde: Er sieht die Weiterbetreibung des Ofens in Maastricht bis 2009 vor, beinhaltet aber auch, dass 50 Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt und 100 weitere in den Vorruhestand geschickt werden.

Respekt beim Management

Dass die Verhandlungen wieder in Gang kamen und dieser Kompromiss auf der Basis des Alternativkonzepts zustande kam, ist nicht zuletzt das Ergebnis intensiver diplomatischer Aktivitäten im Hintergrund. Wilhelm Schwerdhöfer spielte dabei als Vermittler zwischen der holländischen Belegschaft und dem Vorstand eine zentrale Rolle: Im Vorfeld, versuchte er den Streik noch zu verhindern, indem er den Vorstand auf die Stimmungslage der Niederländer und ihren Alternativplan hinwies und sich in eindringlichen Appellen direkt an den holländischen Unternehmensleiter wandte. Als das scheiterte, fuhr er zu den Streikenden nach Maastricht und sagte ihnen: „ Ich werde den Vorstand mit Nachdruck darauf hinweisen, dass er nicht nur für die Aufsichtsräte, Vorstände und Aktionäre zu sorgen hat, sondern auch die Mitarbeiter sehen muss, ihre Sorgen und ihre Familien.“ Und das hat Wilhelm Schwerdhöfer auch getan, - in der ihm eigenen eindringlich-direkten, authentischen Art. Er sorgte auch dafür, dass der Alternativplan der Niederländer direkt an den Vorstand kam und in seiner Qualität dort auch anerkannt wurde.

„Die wissen, dass sie in mir einen harten aber fairen Gegner haben“, beschreibt Wilhelm Schwerdhöfer sein Verhältnis zum Vorstand, das er auch als „Freund-Feind-Spiel auf der Basis gegenseitiger menschlicher Respektierung“ bezeichnet. Neben seiner Aufgabe, „dem Vorstand immer wieder zu vermitteln, dass es nicht nur um Kapital, sondern auch um Menschen geht“, will er als EBR-Vorsitzender auch „die einzelnen Kulturen im EBR zusammen führen und gegenseitiges Verständnis wecken.“ Auch das ist ihm durch die Informationsarbeit während des Streiks ein Stück weit gelungen: „Speziell der Solidaritätsaufruf der holländischen Kollegen, in dem sie deutlich machten: ‚Das kann auch Euch passieren.‘, hat bei den Beschäftigten hier vor Ort Verständnis für die Niederländer erzeugt“, erzählt er.

Umgekehrt musste Wilhelm Schwerdhöfer den holländischen Kollegen erklären, dass er als Betriebsrat nicht zu Streiks oder Warnstreiks aufrufen darf und die Gewerkschaft in Deutschland eine andere Rechtsposition hat. Kaum ist der eine Stein aus dem Weg geräumt, kommen mit einem Projekt zur Straffung aller Verwaltungen im Konzern und der damit verbundenen Personalreduzierung wieder neue Herausforderungen auf den EBR und seinem Vorsitzenden zu. Der sieht auch für künftige Konflikte ein wichtiges Verhandlungspotential des europäischen Gremiums darin, „dass der Vorstand sehr wohl darauf bedacht ist, dass im EBR eine gute Stimmung herrscht, und seine Mitglieder im Sinne des Unternehmens auch eine gute Stimmung in die Belegschaften von HeidelbergCement Group tragen.“

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Ist Ihre EBR-Vereinbarung noch zeitgemäß? Wir analysieren die Stärken und Schwächen. Ein kostenloses Angebot für bestehende Euro-Betriebsräte.

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